Bei Die Buch lesen wir Bücher durch eine feministische Brille. Was das für uns bedeutet und wie wir uns Büchern nähern, haben wir für euch hier zusammengefasst. Seht diese Reihe als kleinen Guide, als Denkanstöße und als Einladung zum Diskutieren.
Disclaimer:
Wir erheben damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dieser Post beschreibt eher unseren persönlichen, praktischen Zugang zur feministischen Kritik, der auf literaturwissenschaftlichen Ansätzen beruht.
Außerdem sei gesagt: Bücher sind vielschichtige Texte, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven gelesen werden können. Wenn wir ein Buch „feministisch“ lesen, bedeutet das, dass wir uns auf gewisse Aspekte konzentrieren und andere außer Acht lassen. Es bedeutet auch, dass wir nicht behaupten, die „eine“ Interpretation des Textes gefunden zu haben. Genauso wie wir den Feminismus (meint hier, ein Konvolut an Theorien und Ideen, nicht Feminismus als soziale Bewegung) an Bücher herantragen, könnte man sie auch im Licht von anderen Theorien lesen, z.B. von marxistischen, psychoanalytischen, postkolonialen, postmodernen Ansätzen.
Los geht’s: Wie geht „feministisch Lesen“?
Die Figuren:
Besonders wichtig für das „feministische Lesen“ sind die Frauenfiguren in Büchern und wie sie sich zu Frauenbildern oder Geschlechterklischees verhalten.
Wir fragen uns: Wer sind die Frauen in dem Buch und wie sind sie charakterisiert? Wie verhalten sie sich zu „traditionellen“ Geschlechterrollen? Wo befinden sie sich auf den Spektren zwischen dynamisch – statisch (Entwickeln sich die Figuren?), eindimensional – mehrdimensional (Wie flach oder komplex sind die Charaktere?), aktiv – passiv (Wie handlungsfähig sind die Figuren?). Aus einer intersektionalen Perspektive: Inwiefern treffen verschiedene Diskriminierungen der Figuren aufeinander („race, class and gender“)?
Spannend ist hier auch die Frage, wie die Figuren sich zu Archetypen wie der „Heiligen“ und der „Hure“ verhalten. Frauenfiguren wurden und werden nämlich leider oft nur in diese beiden Kategorien gedrängt, die den wesentlich komplexeren männlichen Figuren gegenüberstehen.
Die Geschlechterverhältnisse:
Anstatt die Figuren nur in Isolation zu betrachten, achten wir auch auf ihre Beziehungen zueinander. Für Feminist*innen besonders spannend ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern.
Wir fragen uns: Wie stehen die Geschlechter zueinander? Welche Machtverhältnisse herrschen zwischen ihnen? Wer hat Handlungsmacht und wer nicht?
Die Handlung:
Nach den einzelnen Figuren schauen wir uns immer gerne die Entwicklung der Handlung und – natürlich – die Rolle der Frauenfiguren darin an.
Wir fragen uns: Welche Rolle spielen Frauenfiguren für die Entwicklung der Handlung? Sind sie eine treibende Kraft? Folgen sie eher ausgetretenen Pfaden oder schlagen sie auch eigene Wege ein? Werden die Figuren am Ende „belohnt“ oder „bestraft“?
Der Kontext:
Die Figuren im Buch schweben nicht im luftleeren Raum. Sie sind in einen Kontext eingebunden – historisch, politisch, sozial, ökonomisch etc. – der sie beeinflusst. Er bestimmt ihren Handlungsspielraum und erklärt auch, warum die Figuren so sind wie sie sind.
Als moderne Leser*innen machen wir oft den Fehler, von unserem eigenen Kontext auf den der Figuren zu schließen. Das zeigt, dass wir Leser*innen uns immer selbst in die Analyse und Interpretation eines Buches einbauen. Trotzdem sollte man seinen eigenen vs. den Kontext der Figuren im Hinterkopf behalten.
Wir fragen uns: In welchen Kontext sind die Figuren eingebettet (historisch, politisch, sozial, ökonomisch etc.)? Inwiefern beeinflusst der Kontext ihre Handlungsmacht, die Geschlechterverhältnisse, die Geschlechterrollen usw.?
Die Themen:
Im Feminismus gibt es gewisse Themengebiete, die immer wieder besprochen werden, weil sie in eine große Bedeutung für Frauenleben und den Kampf für die Gleichstellung haben. Solche Themen sind: der weibliche Körper, Mutterschaft, Sexualität, Ehe/Beziehungen, Arbeit etc.
Wir fragen uns: Wie werden diese Themen dargestellt? Welche Bedeutung haben sie im Buch?
Trotzdem soll das nicht bedeuten, dass wir uns beim „feministischen Lesen“ auf sogenannte „Frauenthemen“ beschränken. Frauen schreiben über alle Themen.
Die Erzählweise:
Auch die Art und Weise, wie etwas erzählt wird, spielt eine wichtige Rolle. Denn wer erzählt, ist in der mächtigen Position, die Geschichte formen und die Aufmerksamkeit der Leser*innen lenken zu können. Eine weibliche Erzählperspektive kann zum Beispiel die Erfahrungen und Lebensrealität einer Frau anders wiedergeben, als die Perspektive eines unbeteiligten Erzählers.
Wir fragen uns: Wer ist die Erzählstimme und wie steht sie zu den Frauenfiguren/dem Kontext/den Themen etc.? Aus welcher Perspektive wird erzählt? Wessen Erfahrungen werden mitgeteilt oder ausgespart?
Die Autorin:
„Gehört die Autorin zum Werk?“ ist eine Frage, die kontrovers diskutiert wird. Besonders beim Thema Feminismus ist es schwierig, Mutmaßungen über die Intentionen der Autorin anzustellen. Da wir beim Lesen meistens nur den Text vor uns haben und die Autorin selbst nicht kennen bzw. sie sich vielleicht nicht zu ihrem Feminismus geäußert hat, ist es meist besser, beim Text zu bleiben und sich nicht zu fragen: Ist die Autorin eine Feministin oder nicht?
Abgesehen davon ist natürlich die Autorin und Buch in einen historischen, politischen, sozialen etc. Kontext eingebunden. Ob ein Buch zum Beispiel im England der 1810er oder im Simbabwe der 1980er geschrieben wurde, macht einen großen Unterschied 😉
Wir fragen uns: Inwiefern tauchen Ideen/Themen/Fragestellung aus dem historischen, sozialen, politischen etc. Kontext, in dem das Buch entstanden ist, auf? Wie verhalten sie sich Buch und der Kontext der Autorin zueinander?
Ihr seid gefragt!
In den nächsten Wochen und Monaten möchten wir euch immer wieder Podcast-Folgen zum Thema „feministisch Lesen“ zur Verfügung stellen. Dafür wollen wir gern eure Meinungen und Ideen hören: Was ist euch bei dem Thema wichtig? Was sollen wir behandeln? Wie geht ihr an einen Text heran, wenn ihr „feministisch“ lest?
In unseren Folgen wollen wir mehr in die Tiefe gehen, Beispiele bringen und auch Fragen beantworten. Natürlich bauen wir auch eure Meinungen und Ideen zum Thema gerne ein.
Hoffentlich konnten wir euch hiermit ein paar Denkanstöße zum “feministischen Lesen” liefern. Wenn ihr euch grundsätzlich für literarturwissenschaftliche Analyse und Interpretation interessiert, ist das Buch An Introduction to the Study of English and American Literature von Vera und Ansgar Nünning – allerdings mit Fokus auf die englischsprachige Literatur – eine gute Einführung. Großartig ist auch How Novels Work von John Mullan (Oxford University Press 2006). Wer andere Einführungen kennt, sagt uns gerne Bescheid!
Wir freuen uns über eure Kommentare, Meinungen und Feedback! (gerne in den Kommentaren, auf Social Media oder per Mail an plaudern@diebuch.at)
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